Hamburgisches Verfassungsgericht

HVerfG 1/2023

Volksbegehren "Hamburg Werbefrei"

HVerfG 1/23

Volksbegehren „Hamburg Werbefrei“

Leitsätze zum Urteil vom 6. September 2024

 

1.Der Begriff „Haushaltspläne“ in Art. 50 Abs. 1 Satz 2 HV erfasst nicht nur unmittelbar haushaltsgesetzliche Regelungen, sondern ist grundsätzlich weit auszulegen. Allerdings schließt er nicht alle finanzwirksamen Vorlagen aus, sondern nur solche, die das Haushaltsrecht der Bürgerschaft wesentlich beeinträchtigen. Im Wege einer wertenden Gesamtschau ist zu entscheiden, ob dies aufgrund der absoluten und relativen Höhe der Kosten und der Umstände des Einzelfalls wie z.B. der Art und Dauer der zu erwartenden Belastungen zutrifft.

Bei der Überprüfung der Vereinbarkeit eines Volksbegehrens mit dem Haushaltsvorbehalt können Mindereinnahmen als Folge einer Änderung der Rahmenbedingungen für fiskalisches Handeln nur dann Berücksichtigung finden, wenn aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose mit einem Einbruch der Einnahmen zu rechnen ist, der in seinem Ausmaß so erheblich ist, dass er geeignet ist, den Spielraum des Haushaltsgesetzgebers wesentlich einzuschränken.

2. Aus dem Demokratieprinzip folgt, dass Materien, die nicht in einem sachlich-inhaltlichen Zusammenhang stehen, nicht in demselben Volksbegehren miteinander gekoppelt werden dürfen. Ob ein in diesem Sinne sachlich-inhaltlicher Zusammenhang besteht, ist nicht anhand der Intention oder formaler Kriterien, insbesondere des (äußeren) Zusammenhangs einer entworfenen Regelung zu ermitteln, sondern anhand ihres materiellen Inhalts.

3. Die Grundrechte des Grundgesetzes gehören zum nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 VAbstG zu prüfenden höherrangigen Recht. Für eine Beschränkung der verfassungsgerichtlichen Überprüfung einer Volksinitiative auf ihre Vereinbarkeit mit Bundesrecht besteht keine Grundlage. Bei der Prüfung von Gesetzesvorlagen ist allerdings das Gebot zu berücksichtigen, ein Gesetz im Zweifel verfassungskonform auszulegen.

4. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG sichert den Grundrechtsberechtigten einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich und ermöglicht ihnen dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung ihres Lebens. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt bei Eingriffen in das Eigentum in einer nach dem jeweiligen Schutzgegenstand gestuften Form zur Anwendung, durch die sich indirekt auch das Ausmaß der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ergibt. Dessen Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung ist umso weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht.

5. Soweit der Gesetzgeber von dem ihm mit Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrag Gebrauch gemacht hat, den Inhalt und die Schranken des Eigentums zu bestimmen und auszugestalten, schützt die Eigentumsgarantie den auf dieser Grundlage geschaffenen konkreten Bestand in der Hand der einzelnen Eigentümer und Eigentümerinnen gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt. Ein Eingriff in die nach früherem Recht entstandenen Rechte unterliegen besonderen verfassungsrechtlichen Schranken. Die Gründe des öffentlichen Interesses, die für einen solchen Eingriff sprechen, müssen so schwerwiegend sein, dass sie Vorrang haben vor dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger auf den Fortbestand ihres Rechts.

6. Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erstreckt sich auf kommerzielle Meinungsäußerungen sowie reine Wirtschaftswerbung jedenfalls dann, wenn sie einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat. Gesetze, durch die die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, sind allgemein, wenn sie sich weder gegen die Meinungsfreiheit an sich noch gegen eine bestimmte Meinung richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen. Einschränkungen kommerzieller Werbung, die generalisierend nach abstrakt bestimmten Inhaltsarten anhand ihres gesellschaftlichen Kontexts differenzieren, sind weder ein Verbot einer bestimmten Meinung noch richten sie sich gegen die Meinungsfreiheit als solche.

7. In Fällen teilweiser (Un‑)Zulässigkeit ist zu klären, ob eine Abspaltung eines Teils des ursprünglich beabsichtigten Volksbegehrens dessen Kern unberührt ließe. Hierfür ist maßgebend, welche Bedeutung dem unzulässigen und dem zulässigen Teil jeweils zukommt, in welchem inhaltlichen und systematischen Zusammenhang die verschiedenen Teile stehen und ob der mutmaßliche Abstimmungswille der Abstimmungsberechtigten, die die Volksinitiative unterstützt haben, dafürspricht, dass diese auch nur den verbleibenden Teil unterstützt hätten.