Hamburgisches Verfassungsgericht

Ordnungsrufe in Bürgerschaft verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (HVerfG 3/23)

Mit heute verkündetem Urteil hat das Hamburgische Verfassungsgericht den Organstreitantrag eines Abgeordneten der Bürgerschaft zurückgewiesen. Der Abgeordnete hatte die Feststellung begehrt, dass zwei ihm gegenüber ausgesprochene Ordnungsrufe sein parlamentarisches Rederecht verletzten.

 

Sachverhalt und Verfahrensgang

Am 10. Mai 2023 trat die Hamburgische Bürgerschaft zu ihrer 67. Sitzung zusammen. Gegenstand war unter anderem der Antrag der CDU-Fraktion „Hamburgs Partnerschaft mit einer Stadt in Israel verwirklichen“ (Bü-Drs. 22/11758). Im Verlauf eines Redebeitrags des Antragstellers sprach der amtierende Sitzungspräsident zwei Ordnungsrufe aus, nachdem der Antragsteller sich u.a. über „die CDU mit ihrer Migrationspolitik“ und den „Einlass Hunderttausender Antisemiten nach Deutschland“ geäußert hatte. Der gesamte Redebeitrag ist in dem zugehörigen Plenarprotokoll der Bürgerschaft dokumentiert (Plenarprotokoll 22/67, S. 5217-5219).

Der Antragsteller erhob im Nachgang schriftlich Einspruch gegen die Ordnungsrufe. In der 69. Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft am 7. Juni 2023 stimmte die Bürgerschaft mehrheitlich dagegen, dem Einspruch des Antragstellers stattzugeben. Der Antragsteller hat sich im November 2023 an das Hamburgische Verfassungsgericht gewandt und beantragt festzustellen, dass die beiden Ordnungsrufe gegen die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg verstoßen.

Die mündliche Verhandlung vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht hat am 10. Januar 2025 stattgefunden (siehe hierzu bereits die Terminvorschau vom 6. Januar 2025).

 

Inhalt der Entscheidung

Der gegen die Präsidentin der Bürgerschaft gerichtete Organstreitantrag blieb nach der Entscheidung des Gerichts ohne Erfolg.

Bei der Ausgestaltung ihrer Geschäftsordnung stehe der Bürgerschaft ein hohes Maß an Autonomie zu. Der Ausgleich zwischen den dabei betroffenen Rechten und Rechtsgütern obliege in erster Linie der Bürgerschaft selbst. Entsprechendes gelte für die Präsidentin der Bürgerschaft, wenn sie die Geschäftsordnung, unter anderem bei der Erteilung eines Ordnungsrufs, anwende.

Dies habe auch Auswirkungen auf die verfassungsgerichtliche Überprüfung eines Ordnungsrufs. Auch weil der Ausspruch eines Ordnungsrufs maßgeblich auf den wertenden Betrachtungen der Sitzungsleitung in der „Hitze des parlamentarischen Gefechts“ beruhe, beschränke sich die verfassungsgerichtliche Prüfung darauf festzustellen, ob der Ordnungsruf geeignet sei, in unzulässiger Weise auf den parlamentarischen Meinungsstreit Einfluss zu nehmen. Dies sei der Fall, wenn bei der Erteilung des Ordnungsrufs grundlegende rechtsstaatliche Verfahrens­erfordernisse nicht eingehalten oder wesentliche Umstände verkannt worden seien, wenn der Ordnungsruf willkürlich ergangen sei oder wenn die Entscheidung der Sitzungsleitung mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip unangemessen erscheine. Dieser Maßstab gelte im Grundsatz auch dann, wenn der Ordnungsruf an den Inhalt der Rede eines Abgeordneten anknüpfe und daher in gesteigerter Weise geeignet sei, wesentliche Mitwirkungsrechte des betroffenen Abgeordneten in unzulässiger Weise einzuschränken.

Hieran gemessen seien die dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegten Ordnungsrufe nicht zu beanstanden. Die Ordnungsrufe seien erkennbar durch Äußerungen des Antragstellers ausgelöst worden, mit denen er Angriffe auf die CDU mit dem – vordergründig gegen eine große Zahl eingewanderter Menschen erhobenen – Vorwurf des Antisemitismus verknüpft habe. Dass der Sitzungspräsident diese Äußerungen als beanstandungswürdige Verletzung der Ordnung des Hauses eingeordnet habe, bewege sich noch innerhalb seines Entscheidungsspielraums. Es könne insbesondere nicht festgestellt werden, dass mit den Ordnungsrufen inhaltliche Positionen aus der parlamentarischen Debatte ausgegrenzt worden seien. Die Beurteilung des Sitzungspräsidenten, dass die fraglichen Äußerungen jeweils die Grenzen des parlamentarischen Umgangs in der Bürgerschaftsdebatte überschritten hätten, weil es dem Antragsteller nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern um eine bloße Herabwürdigung und Provokation gegangen sei, erscheine im Hinblick auf den im Plenarprotokoll dokumentierten Redeverlauf vertretbar.

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Das Hamburgische Verfassungsgericht ist Verfassungsorgan neben Bürgerschaft und Senat. Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet es in Artikel 65 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (HV). Als höchstes Gericht der Freien und Hansestadt Hamburg ist es zuständig insbesondere für die in Art. 65 HV benannten Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen, für Entscheidungen über die Vereinbarkeit von Landesgesetzen und -rechtsverordnungen mit der Hamburgischen Verfassung, für Beschwerden gegen die Gültigkeit von Wahlen zu Bürgerschaft und Bezirksversammlungen sowie für Streitigkeiten über die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden.

Das Hamburgische Verfassungsgericht besteht aus der Präsidentin Birgit Voßkühler und acht weiteren Mitgliedern. Die Bürgerschaft wählt die Mitglieder des Verfassungsgerichts auf sechs Jahre. Nähere Informationen finden Sie auf der Homepage des Hamburgischen Verfassungsgerichts: https://www.hamburgisches-verfassungsgericht.de

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