Vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht findet am 10. Januar 2025 die mündliche Verhandlung über zwei Ordnungsrufe statt, die der amtierende Sitzungspräsident in einer Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft gegen den Antragsteller ausgesprochen hat. Der Antragsteller ist Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und gehört der Fraktion Alternative für Deutschland (AfD) an. Sein Antrag richtet sich gegen die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft.
Die Verhandlung zum Aktenzeichen HVerfG 3/23 findet im Plenarsaal des Hanseatischen Oberlandesgerichts, Sievekingplatz 2, 20355 Hamburg, statt und beginnt um 10.00 Uhr. Bildaufnahmen sind nach Voranmeldung bei der Pressestelle vor der Verhandlung im Sitzungssaal sowie auf dem Flur vor dem Sitzungssaal möglich.
Am 10. Mai 2023 trat die Hamburgische Bürgerschaft zu ihrer 67. Sitzung zusammen, in der unter anderem der Antrag der CDU-Fraktion „Hamburgs Partnerschaft mit einer Stadt in Israel verwirklichen“ (Bü-Drs. 22/11758) Gegenstand war. Im Verlauf eines Redebeitrags des Antragstellers sprach der amtierende Sitzungspräsident diesem gegenüber zwei Ordnungsrufe aus, nachdem der Antragsteller sich u.a. über „die CDU mit ihrer Migrationspolitik“ und den „Einlass Hunderttausender Antisemiten nach Deutschland“ geäußert hatte. Der gesamte Redebeitrag ist in dem zugehörigen Plenarprotokoll der Bürgerschaft dokumentiert (Plenarprotokoll 22/67, S. 5217-5219) und dieser Pressemitteilung als Anlage beigefügt.
Der Antragsteller erhob im Nachgang schriftlich Einspruch gegen die Ordnungsrufe. In der 69. Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft am 7. Juni 2023 stimmte die Bürgerschaft mehrheitlich dagegen, dem Einspruch des Antragstellers stattzugeben. Der Antragsteller hat sich im November 2023 an das Hamburgische Verfassungsgericht gewandt und beantragt festzustellen, dass die beiden Ordnungsrufe gegen die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg verstoßen.
Zur Begründung trägt er insbesondere vor, dass die Ordnungsrufe ihn in seinem parlamentarischen Rederecht verletzten, das als Teil seines Abgeordnetenstatus verfassungs-rechtlich geschützt sei. Die Ordnung des Hauses sei nicht verletzt worden. Bei einem verfassungskonformen Verständnis sei das nur bei strafrechtlich relevanten Äußerungen und solchen Verhaltensweisen der Fall, die ganz überwiegende Teile der Bevölkerung als sittenwidrig und anstößig wahrnähmen. Gemessen daran seien seine Wortbeiträge nicht zu beanstanden, sondern stellten eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik einer konkurrierenden Partei und den Folgen dieser Politik dar.
Die Antragsgegnerin vertritt hingegen die Auffassung, dass die Ordnungsrufe verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien. Anlass für die Ordnungsrufe seien Äußerungen des Antragstellers gewesen, die eine schwere Herabwürdigung geflüchteter Menschen und der CDU-Partei darstellten. Dass der Sitzungspräsident diese Äußerungen als Schmähkritik – und folglich als Ordnungsverletzung – eingeordnet habe, bewege sich daher innerhalb seines Einschätzungsspielraums.
Ein Termin zur Urteilsverkündung wird im Nachgang zur mündlichen Verhandlung bestimmt werden.
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Das Hamburgische Verfassungsgericht ist Verfassungsorgan neben Bürgerschaft und Senat. Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet es in Artikel 65 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (HV). Als höchstes Gericht der Freien Hansestadt Hamburg ist es zuständig insbesondere für die in Art. 65 HV benannten Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen, für Entscheidungen über die Vereinbarkeit von Landesgesetzen und -rechtsverordnungen mit der Hamburgischen Verfassung, für Beschwerden gegen die Gültigkeit von Wahlen zu Bürgerschaft und Bezirksversammlungen sowie für Streitigkeiten über die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden.
Das Hamburgische Verfassungsgericht besteht aus der Präsidentin und acht weiteren Mitgliedern. Die Bürgerschaft wählt die Mitglieder des
Verfassungsgerichts auf sechs Jahre. Präsidentin ist Birgit Voßkühler. Nähere Informationen finden Sie auf der Homepage des Hamburgischen Verfassungsgerichts: justiz.hamburg.de/hamburgisches-verfassungsgericht/
Rückfragen: Ri‘inOLG Dr. Marayke Frantzen Tel.: 040/42843-2017 E-Mail: Pressestelle@olg.justiz.hamburg.de
Anlage:
Auszug aus dem Plenarprotokoll der Bürgerschaft zur 67. Sitzung am 10. Mai 2023 (Plenarprotokoll 22/67, S. 5217-5219):
„Vizepräsident André Trepoll: Vielen Dank. – Herr Walczak erhält das Wort für die AfD-Fraktion.
Krzysztof Walczak AfD:* Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Westminster Abbey ist es ein Erzbischof, der dem König von England die Krone auf sein Haupt setzt. Im Hamburger Rathaus sind es hingegen der Ober-Pinocchio Dennis Thering
(Zuruf von Michael Gwosdz GRÜNE)
und seine christdemokratische Schwindlertruppe, die der Unwahrheit die Krone aufsetzen.
(Glocke)
Vizepräsident André Trepoll (unterbrechend): Herr Kollege Walczak, Sie kennen den parlamentarischen Sprachgebrauch und dass wir uns gegenseitig nicht herabwürdigen sollten, auch nicht mit irgendwelchen Vergleichen.
Krzysztof Walczak AfD (fortfahrend):* Die CDU stellt sich hierhin und geriert sich …
Vizepräsident André Trepoll (unterbrechend): Herr Walczak, können Sie meine Frage beantworten, ob Sie …
Krzysztof Walczak AfD:* Ich habe Ihrer Aussage keine Frage entnehmen können.
Vizepräsident André Trepoll: Doch, ob Sie sich in Zukunft an den parlamentarischen Sprachgebrauch halten wollen.
(Beifall bei der SPD)
Krzysztof Walczak AfD:* Ja.
(Vereinzelter Beifall)
Vizepräsident André Trepoll: Gut. Dann fahren Sie bitte fort.
(Ksenija Bekeris SPD: Richtige Antwort!)
Krzysztof Walczak AfD (fortfahrend):* Die CDU stellt sich hier hin und geriert sich als Freundin des Staates Israel. Aber stimmt das? Schauen wir uns das Verhalten der CDU in diesem Parlament doch mal genauer an. Im September 2021, nach der Bürgerschaftswahl, brachte die AfD-Fraktion einen Antrag ein, mit einer israelischen Hafenstadt eine Städtepartnerschaft zu schließen. Diesen Antrag hat die CDU-Fraktion abgelehnt, und gestern im Europaausschuss zog die CDU – wir haben es ja schon gehört – ihren eigenen völlig untadeligen Antrag für eine hamburgisch-israelische Städtepartnerschaft zurück. Warum? Weil Ihre Fraktion, Herr Thering, an parlamentarischer Arbeit im Ausschuss offensichtlich nicht interessiert ist, sondern heute lieber für ein paar billige Pressemeldungen einen neuen Schaufensterantrag diskutieren möchte.
(Dennis Gladiator CDU: Das von der AfD! – Dennis Thering CDU: Das sagt genau der Richtige!)
Daher möchte ich eines sehr klar in Richtung CDU-Fraktion sagen: Ihr Verhalten in diesem Parlament belegt, dass Sie ein rein spielerisches, ein rein instrumentelles Verhältnis zum Staat Israel haben. Ihr Verhalten belegt, dass Sie den jüdischen Staat jederzeit für Ihre eigenen Interessen über die Klinge springen lassen würden,
(Zurufe von der CDU)
wenn es Ihren eigenen Interessen nützt,
(Dennis Gladiator CDU: Unverschämter geht's nicht mehr!)
ob nun bei der Bekämpfung eines politischen Wettbewerbers wie der AfD oder für eine Showeinlage hier im Plenum.
(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Geht's auch eine Nummer kleiner?)
Deswegen ist unsere Bewertung Ihres Verhaltens hart, aber auch angebracht. Wer das Judentum, den Staat Israel und seine demokratische und wehrhafte Verfassung in der einen Situation unterstützt,
(Zuruf)
in der anderen nicht, der ist im besten Falle wankelmütig. Und wer so wie die CDU mit ihrer Migrationspolitik für den Einlass Hunderttausender Antisemiten nach Deutschland verantwortlich ist,
(Unruhe im Plenum)
wer so wie die CDU bei jedem Israel-Antrag …
(Glocke)
Vizepräsident André Trepoll (unterbrechend): Herr Walczak, ich rufe Sie zur Ordnung.
Krzysztof Walczak AfD (fortfahrend):* Wer so wie die CDU bei jedem Israel-Antrag in unserem Parlament rein taktisch abstimmt, der begibt sich in die Nähe antisemitischer Fahrwasser.
(Jennifer Jasberg GRÜNE: Was ist das denn? Jetzt reicht's aber mal! – Dennis Thering CDU: Jetzt ist aber Schluss!)
Ich bin stolz, einer Partei anzugehören, in der unser Ehrenvorsitzender Dr. Alexander Gauland
(Unruhe im Plenum)
anlässlich des 70. Jahrestags des Staates Israel die Existenz Israels nicht nur zu einem Teil unserer Staatsräson erklärt hat. Gauland hat auch klargestellt, dass es nicht bei einem Lippenbekenntnis, nicht bei der Haltung, der vielbeschworenen, bleiben kann. Er hat klargestellt, dass es eine darüber hinausgehende Verpflichtung gibt, nämlich – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: "[…] im Ernstfall einer existenziellen Bedrohung Israels an dessen Seite zu kämpfen und zu sterben."
(Glocke)
Vizepräsident André Trepoll (unterbrechend): Herr Kollege Walczak, erst einmal weise ich Sie darauf hin, dass Sie gar nicht meine Erlaubnis brauchen, um zu zitieren, Sie müssen uns nur darauf hinweisen. Und zweitens frage ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Freter gestatten. Krzysztof Walczak AfD:* Das lasse ich nicht zu. Ich dachte, dass es seit der Paulskirche eigentlich üblich ist, diese Wendung zu verwenden, aber vielleicht sind Sie klüger, Herr Präsident.
(Dennis Gladiator CDU: Ist er!)
Vizepräsident André Trepoll: In dem Punkt mit Sicherheit, Herr Walczak.
(Dennis Thering CDU: Eindeutig!)
Krzysztof Walczak AfD (fortfahrend):* Wie erbärmlich dagegen sind Christdemokraten, die schon beim lauesten Windchen nicht einmal an der Seite Israels stehen mögen, nur weil die Buchstaben A, f und D auf einem Blatt Papier stehen. Wo die CDU für Falschheit und moralischen Bankrott steht,
(Michael Gwosdz GRÜNE: Wir reden über Israel und Sie über sich selbst! Das ist peinlich!)
steht die AfD fest an der Seite des jüdischen und demokratischen Staates Israel.
(Zuruf von Jennifer Jasberg GRÜNE)
Wir haben in der Vergangenheit immer für eine Städtepartnerschaft mit einer israelischen Stadt geworben. Wir tun dies jetzt genauso. Wir werden dem vorgelegten Antrag zustimmen, obwohl – hören Sie gut zu, Herr Thering – die unappetitlichen drei Buchstaben der deutschen Politik, nämlich C, D und U, auch auf dem hier vorgelegten Antrag stehen, obwohl die Hamburger CDU ein rein instrumentelles Verhältnis zum Staat Israel hat,
(Sören Schumacher SPD: Unwürdig!)
obwohl die Bundes-CDU mit ihrer Migrationspolitik
(Michael Gwosdz GRÜNE: Jetzt reicht es aber! – Zuruf von Dennis Gladiator CDU)
Antisemitismus und damit eine Vielzahl antisemitischer Übergriffe …
(Glocke – Zuruf)
Vizepräsident André Trepoll (unterbrechend): Herr Walczak, ich rufe Sie erneut zur Ordnung und weise Sie darauf hin, dass ich beim dritten Ordnungsruf das Wort entziehe.
(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der CDU – Dennis Gladiator CDU: Das wäre angemessen!)
Krzysztof Walczak AfD (fortfahrend):* Wir haben das Feuer der Überzeugung, das uns stolz sein lässt auf unsere abendländische Kultur, eine Kultur, die eben nicht nur aus dem Christentum, sondern auch aus seinem Vorgänger, dem Judentum, geflossen ist. Wir sind stolz darauf, uns wahrhaftige Freunde Israels zu nennen, und wir lassen unsere Freunde, anders als die CDU, nicht im Stich.
(Beifall bei der AfD – Jennifer Jasberg GRÜNE: Das ist kaum auszuhalten!)“