Hamburgisches Verfassungsgericht

Terminvorschau HVerfG 4/2022

Verhandlung über Volksbegehren „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“

(HVerfG 4/22)

 

Vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht findet am 15. November 2023 die mündliche Verhandlung im Verfahren über das Volksbegehren „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“ statt. Auf Antrag des Senats hat das Gericht über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit und damit über die Durchführung des Volksbegehrens zu entscheiden. Die Verhandlung findet im Plenarsaal des Hanseatischen Oberlandesgerichts, Sievekingplatz 2, 20355 Hamburg statt und beginnt am 15. November um 10.00 Uhr. Mit einer Urteilsverkündung ist im Dezember 2023 zu rechnen. Bildaufnahmen im Sitzungssaal sind vor und nach der Sitzung sowie auf dem Flur vor dem Sitzungssaal möglich.

Ausgangspunkt des Verfahrens ist die Volksinitiative „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“, die ab September 2021 Unterschriften für eine Vorlage gesammelt hat, nach der „Senat und Bürgerschaft … unverzüglich alle notwendigen Schritte [unternehmen], damit in großflächigen Grün- und Landwirtschaftsflächen in Hamburg keine neuen Baugebiete durch Bebauungspläne ausgewiesen werden.“ Die Initiative kam Ende 2021 mit den Unterschriften von mehr als 10.000 Wahlberechtigten zustande. Die Hamburgische Bürgerschaft, die sich mit dem Anliegen anschließend zu befassen hatte, verabschiedete keinen der Vorlage entsprechenden Beschluss. Die Initiatoren und Initiatorinnen beantragten im Mai 2022, ein Volksbegehren durchzuführen, woraufhin der Senat das Hamburgische Verfassungsgericht mit dem Feststellungsziel angerufen hat, dass das Volksbegehren nicht durchzuführen sei.

Der Senat beanstandet, dass die beabsichtige Vorlage mit höherrangigem Recht unvereinbar sei und die Grenzen der Hamburgischen Verfassung nicht wahre. Nach Ansicht des Senats würde die Vorlage das Planungsrecht und das Planungsermessen von Bürgerschaft und Senat in einer Weise beschränken, die mit den bundesgesetzlichen Vorgaben für die Bauleitplanung nicht zu vereinbaren sei. Die Vorlage würde nach Auffassung des Senats zur Anpassung des Flächennutzungsplans verpflichten, der als vorbereitender Bauleitplan u.a. der Steuerung der Bauleitplanung diene und in seiner gegenwärtigen Fassung einen erheblichen Anteil der von der Vorlage in Bezug genommenen Grün- und Landwirtschaftsflächen als Bauflächen darstelle. Der Senat gibt an, dass rund 37,2 % der Stadtfläche von den Forderungen der Volksinitiative betroffen seien, und macht geltend, dass das hiernach verbleibende freie Flächenpotenzial eine geordnete städtebauliche Entwicklung und die Förderung bezahlbaren Wohnraums nicht ermöglichen würde. Infolge der Vorlage wäre nicht gewährleistet, dass Senat und Bürgerschaft bei der Bauleitplanung allen für das Hamburger Stadtgebiet gewichtigen Bedürfnissen jeweils hinreichend nachkommen könnten. Denn die Vorlage räume den von ihr verfolgten Zielen absoluten Vorrang gegenüber anderen Planungsbelangen, etwa der Wirtschaft, der Versorgung und der Bevölkerung, ein. Weil die Vorlage nach dem Zustandekommen eines Volksentscheids eine zeitlich unbefristete Bindungswirkung erlangen würde, müsste sie auch bei der künftigen Bebauungsplanung zwingend beachtet werden. Dies wäre mit dem bauplanungsrechtlichen Gebot zur Abwägung aller betroffener Belange nicht zu vereinbaren.

Der Senat sieht in der Vorlage auch einen Verstoß gegen die Freiheit des Abgeordnetenmandats und gegen den Grundsatz der Verfassungsorgantreue. Denn die Vorlage würde Senat und Bürgerschaft zur Anpassung des Flächennutzungsplans und damit zur Herbeiführung einer Rechtsänderung – wider die eigenen politischen Ziele und den Verfassungsauftrag zur Förderung des Wohnungsbaus – verpflichten. Ferner liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Abstimmungsklarheit vor, denn der Abstimmungstext mache nicht hinreichend deutlich, welche weitreichenden Folgen die Vorlage für die städtebauliche Entwicklung in Hamburg hätte. Sollte die Vorlage so zu verstehen sein, dass sie nicht auf eine Verpflichtung von Senat und Bürgerschaft ziele, sondern lediglich eine Befassung mit den Forderungen der Volksinitiative bezwecke, ginge das aus dem Abstimmungstext nicht hinreichend klar hervor.

Die Initiatoren und Initiatorinnen machen u.a. geltend, dass die von der Vorlage nicht erfassten Flächen hinreichendes Planungspotenzial für die künftige Stadtentwicklung, einschließlich des Wohnungsbaus, böten. Da dem Senat und der Bürgerschaft bei der Umsetzung vielfältige Optionen zur Verfügung stünden und damit ausreichend Planungs- und Abwägungsspielraum von substanziellem Gewicht verbleibe, sei der Entwurf mit dem Bauplanungsrecht des Bundes vereinbar. Die Vorlage bestimme lediglich, dass keine neuen Baugebiete mehr durch Bebauungspläne ausgewiesen werden. Derartige Entscheidungen unterlägen nicht dem Abwägungsgebot. Als zulässige Teilhabe an der Bauleitplanung stellten sie sich auch nicht als deren Beschränkung dar. Dementsprechend erfordere die Umsetzung der Vorlage keine Änderung des Flächennutzungsplans. Es genüge, schlicht keine der Vorlage widersprechenden Bebauungspläne aufzustellen und keine der Vorlage widersprechenden Bebauungspläne der Bezirke zu genehmigen. Eine Verletzung der Mandatsfreiheit oder des Grundsatzes der Verfassungsorgantreue drohe folglich nicht. Selbst wenn sich aus bundesgesetzlichen Vorgaben zur Bauleitplanung mittelbar Pflichten zur Anpassung bestehender Bauleitpläne ergäben, könnten diese der Volksinitiative nicht zugerechnet werden.

Die Vorlage genüge überdies den an sie zu stellenden Anforderungen an die Klarheit des Abstimmungstextes, da sie den Inhalt und die Folgen des angestrebten Volksentscheids hinreichend deutlich mache. Die vom Senat geforderte Angabe des genauen Umfangs der betroffenen Flächen könne mit den Mitteln einer Volksinitiative nicht geleistet werden.

 

Das Hamburgische Verfassungsgericht ist Verfassungsorgan neben Bürgerschaft und Senat. Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet es in Artikel 65 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (HV). Als höchstes Gericht der Freien und Hansestadt Hamburg ist es zuständig insbesondere für die in Art. 65 HV benannten Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen, für Entscheidungen über die Vereinbarkeit von Landesgesetzen und ‑rechtsverordnungen mit der Hamburgischen Verfassung, für Beschwerden gegen die Gültigkeit von Wahlen zu Bürgerschaft und Bezirksversammlungen sowie für Streitigkeiten über die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden.

 

Das Hamburgische Verfassungsgericht besteht aus der Präsidentin und acht Verfassungsrichterinnen und ‑richtern. Die Bürgerschaft wählt die Mitglieder des Verfassungsgerichts auf sechs Jahre. Präsidentin ist Birgit Voßkühler. Nähere Informationen finden Sie auf der Homepage des Hamburgischen Verfassungsgerichts: http://www hamburgisches-verfassungsgericht.de.

 

 

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