Hamburgisches Verfassungsgericht

HVerfG 4/2020

Volksbegehren zur Streichung der Schuldenbremse

HVerfG 4/20

Leitsätze des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. November 2020 am 4. Dezember 2020 verkündeten Urteils in der Sache HVerfG 4/20:

 

  1. Der Ausschlussgrund „Bundesratsinitiativen“ in Art. 50 Abs. 1 Satz 2 HV greift nicht ein, wenn eine Volksinitiative die Änderung von Landesrecht zum Gegenstand hat und keine Aufforderung gegenüber dem Senat beinhaltet, eine Bundesratsinitiative einzubringen.
  2. Der Ausschlussgrund „Haushaltspläne“ in Art. 50 Abs. 1 Satz 2 HV ist Ausdruck eines verfassungsrechtlichen Haushaltsvorbehalts und konkretisiert den nach dem Demokratieprinzip in Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 HV gebotenen Schutz der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Parlaments. Er schließt jedenfalls wesentliche verfassungsrechtliche Vorgaben für die Feststellung der Haushaltspläne von den zulässigen Gegenständen der Volksgesetzgebung aus.
  3. Bei der vom Parlament beschlossenen Vorgabe, Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen (Art. 72 Abs. 1 HV), handelt es sich um eine wesentliche verfassungsrechtliche Vorgabe für die Feststellung der Haushaltspläne. Das gleiche gilt für die Entscheidung, hiervon Abweichungsmöglichkeiten zuzulassen bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung (Art. 72 Abs. 2 HV) und bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle der Freien und Hansestadt Hamburg entziehen und deren Finanzlage erheblich beeinträchtigen (Art. 72 Abs. 3 HV). Ein Gesetz, mit dem diese Vorgaben geändert werden, kann nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein. 
  4. Die nach § 2 Abs. 2 Satz 1 VAbstG vorgeschriebene Begründung des Gesetzentwurfs unterliegt Anforderungen, die sich zum Schutz der Freiheit der Wahlberechtigten, sich für oder gegen eine Unterstützung des Gesetzentwurfs zu entscheiden, aus dem Demokratieprinzip in Art. 3 Abs. 1 HV ergeben. Mit der Begründung des Gesetzentwurfs darf nicht unzulässig auf die Meinungsbildung der Wahlberechtigten Einfluss genommen werden. Insbesondere ist eine in wesentlichen Punkten unzutreffende oder irreführende Begründung unzulässig.
  5. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 VAbstG auch die Vereinbarkeit einer zustande gekommenen Volksinitiative mit den für die Länder zwingenden und dort unmittelbar geltenden Vorgaben des Grundgesetzes zu prüfen. Art. 109 Abs. 3 GG enthält mit dem Verbot der strukturellen Nettokreditaufnahme zwingende und unmittelbar in den Ländern geltende Vorgaben.
  6. Eine Bestimmung, nach der Geldmittel im Wege des Kredits nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden dürfen, ist mit dem Verbot der strukturellen Nettokreditaufnahme in Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und Satz 5 GG nicht zu vereinbaren.