Vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht findet am 28. April 2023 die mündliche Verhandlung im Verfahren über das Volksbegehren „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“ statt. Auf Antrag des Senats hat das Gericht über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit und damit über die Durchführung des Volksbegehrens zu entscheiden. Die Verhandlung findet im Plenarsaal des Hanseatischen Oberlandesgerichts, Sievekingplatz 2, 20355 Hamburg statt und beginnt um 10.30 Uhr. Mit einer Urteilsverkündung ist im Juli 2023 zu rechnen. Bildaufnahmen im Sitzungssaal sind vor und nach der Sitzung sowie auf dem Flur vor dem Sitzungssaal möglich.
Ausgangspunkt des Verfahrens ist die Volksinitiative „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“, die ab Februar 2020 Unterschriften für einen Gesetzesentwurf zur „Erprobung eines bedingungslosen Grundeinkommens im Land Hamburg“ gesammelt hat. Mit dem Gesetzgebungsvorschlag soll ein wissenschaftlicher Modellversuch zur Erforschung der Wirkung, Akzeptanz und Umsetzbarkeit von Varianten des Grundeinkommens ermöglicht werden. Dazu sollen Versuchsgruppen bestehend aus insgesamt mindestens 2.000 Personen drei Jahre lang voraussetzungslos und ohne Bedürftigkeitsprüfung ein monatliches Einkommen erhalten. Dieses Grundeinkommen soll so hoch sein, dass daneben kein Bedarf an den Lebensunterhalt deckenden Sozialleistungen nach Bundesrecht besteht, und in wenigstens der Hälfte der Versuchsgruppen mindestens 1.120 Euro für Erwachsene und 560 Euro für Minderjährige betragen. Anderweitiges Einkommen soll angerechnet werden können, solange die Summe aus Geldzahlung und Einkommen jeweils höher ist als der Grundeinkommensanspruch. Der Entwurf sieht vor, dass die Gesamtkosten des Vorhabens 40 Millionen Euro nicht überschreiten sollen. Die genaue Ausgestaltung des Modellversuchs soll auf Vorschlag eines Forschungspartners durch Rechtsverordnung erfolgen.
Die Initiative kam im März 2020 mit den Unterschriften von mehr als 10.000 Wahlberechtigten zustande. Die Hamburgische Bürgerschaft, die sich mit dem Anliegen anschließend zu befassen hatte, verabschiedete das Gesetz nicht. Die Initiatoren beantragten im September 2020, ein Volksbegehren durchzuführen, woraufhin der Senat das Hamburgische Verfassungsgericht mit dem Feststellungsziel angerufen hat, dass das Volksbegehren nicht durchzuführen sei. Für die Dauer des Verfahrens ruht das Volksbegehren.
Der Senat beanstandet, dass der vorgelegte Gesetzesentwurf mit höherrangigem Recht unvereinbar sei und die Grenzen der Hamburgischen Verfassung überschreite. Nach Ansicht des Senats fehle es im Verhältnis zum Bund schon an der Gesetzgebungskompetenz der Freien und Hansestadt Hamburg. Weil das Grundeinkommen jedenfalls für einen Teil der Teilnehmenden den Lebensunterhalt sichere, handele sich um „öffentliche Fürsorge“, für die der Bundesgesetzgeber vorrangig zuständig sei. Die Initiative geht dagegen davon aus, dass es bei dem Gesetzesentwurf um die Förderung eines individuellen Forschungsvorhabens gehe und mangels eines ähnlich gelagerten Modellversuches des Bundes die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liege.
Außerdem macht der der Senat geltend, dass der Gesetzesentwurf gegen den Haushaltsvorbehalt der Hamburgischen Bürgerschaft verstoße, da die veranschlagten Kosten bereits bis zu 0,33% des Gesamthaushalts ausmachten. Die Volksinitiative verweist demgegenüber darauf, dass die Kosten über mehrere Jahre verteilt anfielen und deshalb max. 0,067% eines Jahreshaushalts beträfen.
Schließlich rügt der Senat, dass das Vorhaben gegen den Grundsatz der Abstimmungsklarheit und -wahrheit der Volksgesetzgebung verstoße. Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Kostendeckelung von 40 Millionen Euro sei deutlich unterdimensioniert und vermittle eine unzutreffende Entscheidungsgrundlage. Außerdem würden die Höhe des Grundeinkommens und sein Verhältnis zu anderen Sozialleistungen nicht ausreichend deutlich, wenn einerseits Sonder- und Mehrbedarfe im Einzelfall durch Leistungen nach dem SGB II und SGB XII abgedeckt werden sollen und andererseits die Vorgabe gelte, dass neben dem Grundeinkommen zusätzliche Ansprüche auf Sozialleistungen nach Bundesrecht nicht bestehen sollten. Zudem sei für die Abstimmenden der Begriff des bedingungslosen Grundeinkommens unklar, wenn seine Höhe abhängig von anderweitigem (Erwerbs-)Einkommen gekürzt werden solle. Schließlich trage der Gesetzesentwurf dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht hinreichend Rechnung.
Das Hamburgische Verfassungsgericht ist Verfassungsorgan neben Bürgerschaft und Senat. Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet es in Artikel 65 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (HV). Als höchstes Gericht der Freien und Hansestadt Hamburg ist es zuständig insbesondere für die in Art. 65 HV benannten Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen, für Entscheidungen über die Vereinbarkeit von Landesgesetzen und ‑rechtsverordnungen mit der Hamburgischen Verfassung, für Beschwerden gegen die Gültigkeit von Wahlen zu Bürgerschaft und Bezirksversammlungen sowie für Streitigkeiten über die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden.
Das Hamburgische Verfassungsgericht besteht aus der Präsidentin und acht Verfassungsrichterinnen und ‑richtern. Die Bürgerschaft wählt die Mitglieder des Verfassungsgerichts auf sechs Jahre. Präsidentin ist Birgit Voßkühler. Nähere Informationen finden Sie auf der Homepage des Hamburgischen Verfassungsgerichts: http://www hamburgisches-verfassungsgericht.de.
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