Hamburgisches Verfassungsgericht

HVerfG 12/2020

Volksbegehren „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“

HVerfG 12/20

Volksbegehren „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“

 

Leitsätze zum Urteil vom 12.07.2023

 

  1. Der Gesetzentwurf der Volksinitiative stellt Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG dar. Das Grundeinkommen, wie es nach dem Gesetzentwurf konkret ausgestaltet ist, zielt darauf ab, die Existenz der Teilnehmenden zu sichern, ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und eine (potenzielle) Bedürftigkeit der am Modellversuch Teilnehmenden zu verhindern.
  2. Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz im Hinblick auf den gegenständlichen Gesetzentwurf nicht in einer die Länder hiervon ausschließenden Weise Gebrauch gemacht. Die Gesetzgebungskompetenz für Regelungen zur Durchführung eines zeitlich und auf das Gebiet eines Landes begrenzten Modellversuch auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge verbleibt bei den Ländern, wenn die entsprechende Regelung die nach Bundesrecht bestehenden Sozialleistungen nicht ersetzen, sondern neben sie treten soll.
  3. Zum Schutz der Freiheit der Stimmberechtigten, sich für oder gegen eine Unterstützung der Initiative zu entscheiden, unterliegt eine Volksinitiative Anforderungen, die sich aus dem Demokratieprinzip aus Art. 3 Abs. 1 HV ergeben. Diese gelten wegen der erheblichen Bedeutung der vorherigen Zustimmung der Stimmberechtigten auch in den dem Volksentscheid vorangehenden Stadien von Volksinitiative und Volksbegehren.
  4. Der Gesetzentwurf und dessen Begründung müssen so formuliert sein, dass ihr Inhalt für die Gesamtheit der stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürgern verständlich ist. Sie müssen dabei widerspruchsfrei, in allen Teilen inhaltlich nachvollziehbar und aus sich heraus verständlich sein. Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Auswirkungen des Vorhabens überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen können. Die Grenzen einer vertretbaren Darstellung sind jedenfalls dann überschritten, wenn die Folgen einer angestrebten Änderung so lückenhaft oder missverständlich dargestellt werden, dass die Stimmberechtigten, soweit sie nicht über spezielle Vorkenntnisse verfügen, den eigentlichen Inhalt des Vorschlags nicht erfassen können und so geradezu in die Irre geführt werden (Bestätigung und Fortführung von HVerfG, Urt. v. 21.12.2021, 6/20; HVerfG, Urt. v. 04.12.2020, 4/20).
  5. Diesen Anforderungen genügen der Gesetzentwurf und seine Begründung im Ergebnis nicht. Sie enthalten Widersprüchlichkeiten und Lücken in der Darstellung, die dazu führen, dass bei den Stimmberechtigten falsche Vorstellungen von Inhalt und Auswirkungen des Vorhabens geweckt werden.