Hamburgisches Verfassungsgericht

HVerfG 2/2016

Entscheidung zum Volksbegehren "Rettet den Volksentscheid"

1. Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung ist die Durchführung eines Volksbegehrens in der Gestalt, die es zuletzt durch den Antrag der Initiatoren erhalten hat. Die ursprüngliche Fassung lebt auch im Fall der Unvereinbarkeit der letzten Fassung mit geltendem Recht nicht wieder auf.

2. Die in Art. 50 Abs. 2 Satz 5 HV und in § 6 Abs. 1 Satz 4 HVAbstG vorgesehene Möglichkeit zur Überarbeitung eines Volksbegehrens erstreckt sich auch auf inhaltliche Änderungen, solange der Grundcharakter und die angestrebten Ziele oder Teilziele der Volksinitiative nicht verändert werden. Ist dies der Fall, sind insbesondere Änderungen der Regelungstechnik, die Aufnahme flankierender Regelungen, die der Reform zu größerer Effizienz verhelfen sollen, oder eine Zurücknahme einzelner Teilziele im Vergleich zur ursprünglichen Fassung zulässig.

3. Aus dem Demokratieprinzip folgt für die Volksgesetzgebung ein Koppelungsverbot für Gegenstände, die materiell nicht in einem sachlich-inhaltlichen Zusammenhang zueinander stehen (vgl. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entsch. v. 24.4.2000, Vf. 112-IX-99, VerfGHE BY 53, 23, juris, Rn. 40 ff. m.w.N.). Da die Abstimmungsberechtigten lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ stimmen können, sind sachlich und inhaltlich nicht unmittelbar zusammenhängende Materien getrennt zur Abstimmung zu stellen. Dieser Zusammenhang lässt sich nicht bereits über eine gleichgerichtete Zielsetzung verschiedener Reformvorhaben herstellen, wenn sich diese ansonsten mit unterschiedlichen Regelungsinhalten an unterschiedliche Normadressaten richten.

4. Auch eine Verfassung ohne ausdrückliche Ewigkeitsgarantie bindet den verfassungsändernden Gesetzgeber an ihre identitätsstiftenden und -sichernden Grundentscheidungen (grundlegend bereits BVerfG, Urt. v. 18.12.1953, 1 BvL 106/53, BVerfGE 3, 225, juris, Rn. 19 ff.; Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urt. v. 13.5.2013, 155/11, DVBl 2013, 848, juris, Rn. 20, und Urt. v. 28.7.1994, LVerfGE 2, 43, juris, Rn. 39). Zum Bestand der identitätsstiftenden und -sichernden Grundentscheidungen der Hamburgischen Verfassung gehört jedenfalls der Regelungsgehalt von Art. 3 HV, der die Freie und Hansestadt Hamburg zu einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat erklärt, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und nach Maßgabe der Verfassung und der Gesetze ausgeübt wird.

5. Zwar sind Volkswillensbildung und parlamentarische Willensbildung hinsichtlich der hierbei gefundenen Ergebnisse gleichrangig (HVerfG, Urt. v. 15.12.2004, 6/04, HmbJVBl 2005, 19, NordÖR 2005, 109, juris, Rn. 50 f.), jedoch ist damit dem Volksgesetzgeber im Vergleich zum parlamentarischen Gesetzgeber nicht auch quantitativ und qualitativ der gleiche oder gar einen höherer Stellenwert einzuräumen. Eine substantielle Verlagerung der legislativen Aufgaben vom parlamentarischen Gesetzgeber auf die Volksgesetzgebung ist mit dem Demokratieprinzip, so wie es in der Hamburgischen Verfassung verankert ist, nicht vereinbar.

6. Eine Verfassungsänderung, die auch das Abgabenrecht zum Gegenstand der Volksgesetzgebung macht, ist mit dem Demokratieprinzip – hier in seiner Ausprägung als Grundsatz der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Parlaments – nicht vereinbar.

7. Hinreichende demokratische Legitimation erlangt ein Gegenstand der Volksgesetzgebung nur kraft seiner ausdrücklichen Billigung durch die Mehrheit. Eine Verfassungsänderung, die das Zustimmungsquorum in Abhängigkeit von der Zahl der in der Bürgerschaft "repräsentierten" Wählerstimmen ermitteln will und für einfaches Recht und andere Vorlagen ein Quorum von einem Viertel der repräsentierten Stimmen (aktuell ca. 13% aller Wahlberechtigten) ausreichen lässt, verstößt gegen das Mehrheitsprinzip als Ausprägung des Demokratieprinzips.

8. Eine Verfassungsänderung, die an verfassungsändernde Gesetze unterschiedliche Maßstäbe anlegt, je nachdem ob diese auf dem Weg der parlamentarischen Gesetzgebung oder der Volksgesetzgebung zustande kommen sollen, verstößt gegen die mit dem Demokratieprinzipverbundene Grundentscheidung der Verfassung zugunsten der repräsentativen Demokratie.

9. Eine Verpflichtung des Normgebers auf ein für jeden verständliches Sprachniveau ist ihrerseits mit dem Gebot der Normenklarheit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips unvereinbar.